Les périphériques vous parlent N° 2
HERBST 1994
S. 18-21
deutsch
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zum 4. Kapitel : Die Anpassungsunfähigkeit
 Die Zusammenhänge der Krise 
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Daniel Guillaumin

5. Interpret und Akteur

Der Interpret, „der eindimensionale Mensch” der zweiten Industrieperiode muss vom Akteur ersetzt werden. Aber was unterscheidet den Akteur vom Interpreten ? Der Interpret ist ausführendes Organ, Subjekt und Objekt der Organisation. Seine Zukunft liegt fest, seine Aufgabe ist vollständig umgrenzt ; er muss sie nur noch gut erfüllen. Demgegenüber ist der Akteur „Autor seiner Taten”. Er will vor Allem verantwortlich sein. Daher muss er so handeln, dass er auf die komplexen Probleme antworten kann, die das Leben in jedem Augenblick stellt.

Die Verwechslung der Bezeichnungen Akteur und Interpret

Soziologen benutzen den Ausdruck Akteur, wenn es darum geht, die verschiedenen Partner in ihrem Arbeitsfeld zu bezeichnen. Ein Wörterbuch setzt einen Akteur einem Schauspieler, einem Interpreten gleich. Für uns drückt diese Verwechslung genau die Wirklichkeit der zweiten Industrieperiode aus. Wie oben gesagt hat sich die Kultur in dieser Periode aus der Massenproduktion und dem Massenkonsum heraus entwickelt. Die Organisationen wurden durch die Einstellung geformt, den die Praxis à la Taylor der Arbeitswelt aufgezwungen hat ; und dies erzeugte eine Ideologie (die der Mittelklasse), die von sich aus als Ausdrucksform nur die des Interpreten zuließ. Der Interpret ist der einzige Repräsentant der vom Taylor-System beherrschten Arbeitswelt.

Heute greift die Wirtschafts- und Industriekrise weit auf „das” Politische über. Wenn man hier nicht versucht, zu erkennen, was den Unterschied zwischen „jemand,der interpretiert” (Interpret) und „jemand, der agiert” (Akteur) ausmacht, verurteilt man sich dazu, am Rande der Krise umherzuirren. Woher kommt diese Verwechslung zwischen Interpret und Akteur ?

Die Bedeutung des Akteurs wurde zweifellos von der des Interpreten überdeckt, weil es im 20. Jahrhundert unmöglich war, diese beiden Handlungsweisen zu unterscheiden, wenngleich sie abgrundtief verschieden sind : vermitteln und selbst handeln. In dieser Epoche war die Handlungsweise eines Akteurs unverständlich. Nur die Privilegierten und einige „Subversive” (es gab sie) konnten sich über die Rolle des Interpreten erheben. Auf jeden Fall galt ihre Aktivität immer als Ausnahme, „außergewöhnlich”, etwas Besonderes, das nur Wenige zustande bringen konnten : Künstler, Genies, Wissenschaftler, Industrie- und Bühnenhelden, Theater-, Film- und Fernsehstars, Agitatoren und große und kleine Volksväter.

Wenn wir den Einen vom Anderen unterscheiden wollen, müssen wir zunächst die Vermischung der beiden Begriffe verweigern. Für uns ist ein Akteur kein Interpret.


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Der Interpret
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Der Interpret

Im XIV. Jahrhundert ist der Interpret jemand, „der den Sinn eines Textes erklärt, klar macht”. Später, im XVI. Jahrhundert, bedeutet „Interpret” auch „wer als Vermittler zwei Personen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, gegenseitig erklärt, was sie in der jeweiligen Sprache einander sagen”frz. Originalzitat.

Im XII. Jahrhundert leitet sich das Wort „Interpret” aber von der Bezeichnung INTERPRETATION ab, dessen lat. Ursprung interpretatio „Offenbarung” bedeutet. Das Wort Offenbarung hat aber in jener Zeit eine göttliche Bedeutung. Tatsächlich offenbarte man damals die vom Himmel gefallene Wahrheit, die Wahrheit Gottes. Allmählich hat sich die Kirche die Wahrheit Gottes zu eigen gemacht und sie in den Heiligen Büchern, der „Heiligen Schrift” niedergelegt. Die Bibel und die Evangelien wurden die einzigen Zeugen des göttlichen Wortes. Von nun an konnte Interpretation nicht mehr die „Offenbarung, die sich auf die göttliche Inspiration oder auf Gott, der direkt zum Auserwählten spricht, bezieht” bedeuten. So bekam das Wort Interpretation einen weniger poetischen Sinn, den einer einfachen „Lesart” der Heiligen Texte, bestenfalls könnte es sich um eine „Aufarbeitung” des Textes handeln (wie man von einem Regisseur sagt, dass er ein Stück aufarbeitet). Daher kommt es, dass im XIV. Jahrhundert der Interpret „den Sinn eines Textes erklärt, klar macht”. Der Text hat Gesetzeskraft. Und so bekommt Interpret auch die folgende Bedeutung : „Jemand, der die Gefühle, den Willen und die Ziele eines Anderen bekannt machen soll”. (Im Rahmen dieses Textes behandeln wir nur diese Bedeutungen des Wortes Interpret. Wer davon mehr wissen will, den verweisen wir auf die verschiedenen wörtlichen und bildlichen Bedeutungen, die ihm Autoren und Wörterbücher geben.

Das Eigenartige an dieser Geschichte ist, dass das Wort „Akteur” diesen Bedeutungswandel mitgemacht und sich im Sinne des Interpreten hat auflösen lassen. Denn diese Entwicklung des Wortes Interpret beinhaltet nichts, was sich auf die drei Wurzeln agere, drama, praxis beziehen könnte.


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Der Akteur

Der Akteur

Um den Akteur definieren zu können, wagen wir den folgenden Ausdruck : „Akteur, Autor seiner Taten”. Gemäß dem Wörterbuch ist ein Akteur jemand, der „darstellt”. Sein Ursprung findet sich in dem Worte Aktion : Aus dem lat. actio, actionis, von agere, handeln. Aber zwei Ursprünge beziehen sich auf Aktion : drama und praxis. Mit diesen drei Wurzeln des Wortes Aktion : Agere, drama, praxis wollen wir im Folgenden dem Akteur zu Bedeutung verhelfen.

1 - Aktion / agere

Häufig wird die Bedeutung eines Wortes durch die eines anderen überdeckt. Dies begleitet die Geschichte der Menschen, der Wissenschaften und der Literatur. Dies drückt die Entwicklung der Geschichte aus, oder vielmehr, es überdeckt sie. Diejenigen, die Geschichte machen und die, die über sie schreiben, sind niemals dieselben.

Wenn handeln, „agieren” nicht die Auslegung einer Tatsache und ihre Überdeckung durch die Idee, die man von ihr hat, bedeutet, sondern wenn es sich auf den handelnden Menschen bezieht, kann seine Bedeutung nur „entdecken” sein, entdecken, was vor einem liegt. So begreifen wir NIETZSCHES Wort „Nur wer handelt, versteht”.

2 - Aktion / drama

Mit der Etymologie von drama wird Aktion der Ausdruck von Akten, deren Funktion die Produktion einer Wahrheit, die ihrerseits nichts Anderes ist als das Resultat der Produktion der Akte, sie zu sagen, sie mit den Anderen den Anderen zu sagen. Dies ist eine Art und Weise, die Wahrheit zu relativisieren, indem man sie auf die Szene bringt, wo man sie bemerken, sehen und diskutieren kann. Das drama stellt sozusagen vor den Augen Aller die Schwierigkeit dar, mit der sich die Wahrheit darstellt. Mit dem drama wollen wir die Anstrengung des Akteurs erfassen, völlig Mensch zu sein, d.h. „Mensch im Fortschritt”, mit den Anderen, in Richtung auf seine Grenzen, die seines Wissens, die des Menschen, wie er auf die Bühne des Griechischen Theaters tritt, wenn des drama Tragödie wird, wenn ihn die verbotene Frucht der Erkenntnis versucht und er so seine tragische Rolle spielt, um die Statur der Götter oder der Heroen zu erreichen. Der Akteur ist somit zunächst jemand, der mit den Anderen (zweifellos unter Konflikten) handelt, um etwas mehr zu wissen, als er schon weiß.

3 - Aktion / praxis

Sehen wir uns nun die Etymologie von Aktion praxis an. Das Wort Praxis bezieht sich auf eine „besondere Aktion”, eine Aktion, die aus einem Projekt hervorgeht, die ein Ziel hat. Der Marxismus hat dem Wort Praxis die Bedeutung einer „Aktivität im Hinblick auf ein Resultat” gegeben. Für die Psychoanalyse (nach LACAN) „ist es die weitsinnigste Bezeichnung, um jede gezielte Aktion des Menschen zu benennen, die ihn dazu in die Lage versetzt, Realität durch Symbolik zu verarbeiten”. frz. Originalzitat (das Buch XI : Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse, S. 11, Herausg. Seuil)

„Realität durch Symbolik verarbeiten” bedeutet, Theorie und Praxis in der Aktion zu verbinden, und wir halten uns an diese Bedeutung des Wortes Praxis. Wir benutzen es in der Tat, um die gezielte Aktivität des Akteurs zu definieren und auszudrücken : Ein Verhalten, das Kenntnis und Praxis miteinander verbindet. Diese Bezeichnung bedeutet eine gewisse Praxis der Erkenntnis, wenn die Erkenntnis voranschreitet, um ihre Grenzen zu übertreten.

Wir glauben, dass uns die drei Wortwurzeln, die mit dem Worte Aktion in Beziehung stehen, dabei helfen können, die Verhaltensweisen zu erkennen, die den Akteur als Autor seiner Taten qualifizieren.

Wir stellen die lakonische Formel auf : Akteur, Autor seiner Taten, was bedeutet das ?

Eine Umformung des Menschen wird notwendig, und diese Umformung ist der Schritt von der Rolle des Interpreten zu der des Akteurs. Wenn erst einmal der Unterschied zwischen Akteur und Interpreten klar ist, tritt die Frage des Menschen wieder in den Vordergrund, noch vor der Frage der Organisationen. Sie stellt die Organisationen in Frage. Man kann sich nun einen anderen Humanismus vorstellen, wo der „Mensch mit seiner möglichen Aktivität” gegenüber einem vorhandenen Organisationssystem den Vorrang hat.

Eine Anzahl von Konsequenzen kreisen um den Akteur. Sie berühren alle Lebensbereiche : Kultur, Gesellschaft, Politik, menschliche Beziehungen, Lebensziele. Dies sehen wir im Folgenden.


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zum Inhaltsverzeichnis
zum 4. Kapitel : Die Anpassungsunfähigkeit
zum 6. Kapitel : Linearität und Komplexität

Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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« Celui qui, servant d'intermédiaire entre deux personnes ne sachant pas la langue l'une de l'autre, explique tour à tour dans la langue de l'une ce que dit l'autre » (Dict. Littré)
 


« C'est le terme le plus large pour désigner une action concertée par l'homme, quelle qu'elle soit, qui le met en mesure de traiter le réel par le symbolique ».