Les périphériques vous parlent N° 3
MÄRZ 1995
S. 13-17
deutsch
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UniversCity

Allgemeine Betrachtungen

Von einer UniversCity zu sprechen bedeutet an erster Stelle, ein Projekt zu erstellen, um diese entstehen zu lassen. Sie muss sich der Schicksalhaftigkeit der Ausgrenzung entgegenstellen, die nur zur Entstehung einer under class führen kann, einer menschlichen Reserve von Verzweifelten, die dazu verurteilt sind, alle Gewalttätigkeiten, alle Faschismen, Integrismen, Staats- oder Privatmafias erstarken zu lassen. Damit Jugend sich findet, sich erstellt, sich erfindet, braucht sie einen Ort, wo sie sich bilden kann. Einen geeigneten Raum, wo sich die betroffenen Personen begegnen können, um Ideen, Strategien, Ziele, Vorgehensweisen hervorzubringen. Diejenigen, die sich weiterbilden wollen, brauchen vor allem einen Raum für Ausbildung, Selbstbildung, um zu Akteuren zu werden, die dazu fähig sind, sich in der Gegenwart eine Entwicklung zu schmieden.

Die Universität stellt sich natürlich von sich aus als der geeignete Ort dar, zu verstehen, wie La Palice sagen würde, „zu verstehen, was es zu verstehen gibt”, folglich verstehen in einem genauen, reellen Sinn, dem, den ihm Nietzsche gibt wenn er sagt, dass „nur wer handelt, versteht”. Diesen Wunsch mit in die Rechnung einzubeziehen, scheint uns der Universität ihre Berufung als Wissensproduktionsraum wiedergeben zu können, im Gegensatz zu dem, was sie sich zu oft zu sein begnügt : Eine Übermittlungsstelle für DAS Wissen.

Man müsste diese ursprüngliche Auffassung der Universität wieder in die Praxis umsetzen, der Universität eine „eigene” Perspektive geben. Diese Perspektive fordert dazu auf, das Klischee zurückzuweisen, welches auf der einen Seite ein Professorenkorps darstellt, dessen Mission nur die Übermittlung des Wissens wäre (eines vorgekauten Wissens) und auf der anderen Seite die Masse der Studenten, deren Aufgabe darin bestände, dieses Wissen in sich aufzunehmen (der Student : ein Wissensschwamm). Es tut Not, sich wieder der eigentlichen Mission der Universität zuzuwenden : Bildung und Forschung. Doch wenn wir hier das Wort Forschung benutzen, sprechen wir von der wahren Forschung, nicht von einem Scheinbild von Forschung, die in Hörsälen ausgeteilt wird, die man in Bibliotheken konserviert, die man in Büchern auf den Zeilen oder zwischen den Zeilen lesen kann. Wir beziehen uns auf eine Forschung in situ, auf einen Schauplatz, der „Produktionspraxis”, Beziehungspraxis, Aktionspraxis ins Spiel bringt. Es tut Not, die Beziehung zwischen Professoren und Studenten zu überdenken und sie in ein eigenverantwortliches Verhalten zu verwandeln. Beide Gruppen müssen zusammen nach Selbstbildung streben.

Es ist unser Standpunkt, dass sich unter dieser Bedingung Professoren und Studenten als Akteure in zwei Richtungen ausdrücken. In der ersten übermittelt der Akteur Professor sein Wissen an den Studenten und gibt ihm dadurch die Mittel, sich im Feld des Wissens „zurechtzufinden”. Er gibt ihm damit Werkzeuge von Kenntnissen in die Hand, aber in einem zweiten Anlauf geben wir zu verstehen, dass der Professor mit den Studenten zusammen einen Produktionsprozess einleiten müsste, selbstverständlich von den erworbenen Kenntnissen ausgehend. Dies zusammen mit dem Wissenserwerb selbst.

Die Aktivität von Erkenntnis bedeutet, aus dem Rahmen eines schon existierenden Wissens zu treten, um einen anderen Rahmen zu erarbeiten (Rahmenwechsel). Die Fähigkeit, „aus dem Rahmen zu treten” (Anpassung an die schnellen Wandel) ist im aktuellen Produktionsbereich eine unabdingliche Qualität. Täglich machen in der Arbeitswelt viele Personen auf ihre Kosten davon die schmerzhafte Erfahrung. Es wäre folglich besser, die Studenten darauf „vorzubereiten”, dieser Labilitätssituation (die von nun an die Zeitentwicklung charakterisiert) zu begegnen. Von daher wird selbstverständlich eine völlig neuartige Lehre notwendig. Diese verlangt zweifellos die Einführung von Methoden, die Professoren und Studenten zusammen entwickeln müssen, kurz gesagt, eine Selbstbildung durch eine Forschung, die für die Einen wie für die Anderen gleichzeitig eine Ausbildung ist.

Die Forschungstätigkeit, welche gleichzeitig zu einer Produktion führt, die im selben Augenblick eine Ausbildung nötig macht, führt zum eigenverantwortlichen Verhalten eines Akteurs und für jede betroffene Person zu einer Art und Weise, „Autor seiner Taten” zu werden. Man halte uns nicht entgegen, dass dieser Prozess zu kompliziert wäre ! Im Gegenteil, er erweist sich aus Erfahrung als ein wichtiger „Verständnisfaktor”, denn er erfasst die Erkenntnis auf der Ebene des Lebendigen, das heißt, unter Berücksichtigung all seiner Dimensionen. Insbesondere auf der Ebene der Entscheidungsfähigkeit : Entscheidungsfähigkeit mit sich selbst, seinem Beruf, und Entscheidungsfähigkeit auf der Beziehungsebene, das heißt durch die konkrete Erfahrung des Austausches mit den Anderen. Wir sehen in diesem Versuch des Menschen, sein know-who (an erster Stelle ein jugendliches know-who) zu entwickeln, das Umsetzen in die Praxis der Empfehlung Nietzsches, zu „handeln, um zu verstehen”.

Wir möchten noch Folgendes klarstellen : Der Akt, durch die Produktionsaktivität selbst zu verstehen, verlangt von der Universität, dass sie einen fachübergreifenden Arbeitsraum (Raum für Begegnungen und Gegenüberstellungen, Experimentationsfeld für Studenten und Professoren aller Fachrichtungen) schafft, einen Ort, der gleichzeitig ein Lebensraum wäre, in dem jeder lernen könnte, sich gemäß seiner Fähigkeiten auszudrücken. In diesem Arbeitsraum könnten alle betroffenen Personen entdecken, wie man ein know-who erwerben kann, wie man sich ein Akteurverhalten geben kann (Formung zur Persönlichkeit), und dies durch eine Forschung im Rahmen einer Produktionssituation (die Entwicklung der an den Beruf oder ans Handwerk gebundenen Fähigkeiten). Wir dürfen nicht vergessen, dass alle ans know-who gebundenen Fähigkeiten einen sehr starken Einfluss auf das know-how ausüben. Ein Akteur ist heutzutage erheblich besser darauf vorbereitet, seine Fähigkeiten in Funktion zu setzen, als z. B. ein Interpret.


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Die Universität öffnen

Die Universität öffnen

Wir schlagen jetzt fünf Themen zur Diskussion vor, die dazu dienen können, auf die Forderungen unserer Zeit zu antworten und um sich eine offene Universität auszudenken, die ebenso von den Professoren, wie von den Studenten zu machen ist, und denen sich alle Personen, die im Schulwesen tätig sind, anschließen könnten.
  1. An erster Stelle müsste diese Universität offen sein. Offen für das Leben, für das Wissen, für Wissenspraktiken, wenn sie unmittelbar Menschen, Krise, Arbeitswelt, Gesellschaft, Ausgrenzung betreffen.
     
  2. Das erste Ziel wäre es, Treffen zwischen Professoren und Studenten über die Frage der Zukunft der Universität zu planen (unter Anderem könnte man in diesem Rahmen AKTE FÜR DIE ZUKUNFT erarbeiten). Indem Professoren und Studenten versuchen, sich eine Gegenwart zu geben, die eine Zukunft hat, machen sie sich damit an die Arbeit, die Realitäten der aktuellen Universitätsausbildung zu analysieren und an zweiter Stelle die Zukunftsperspektiven abzuschätzen. In der Folge könnten Professoren und Studenten Projekte entwickeln, die die Zukunft der ganzen Gesellschaft betreffen. Wenn wir recht in der Annahme gehen, müsste dieses Vorgehen, das darin besteht, die Perspektiven zu studieren, die mit der Entwicklung zusammenhängen, allmählich Räume von Selbstbildung hervorbringen und zur Schaffung von „Lebensräumen” an der Universität führen.

    Wir benutzen hier den Ausdruck „Lebensraum”, denn er scheint uns genau eine vitale Notwendigkeit für die Universität handgreiflich zu machen. Er widerspricht dieser schmerzhaften Wirklichkeit, die die Universitäten unserer Tage sind : „Durchgangsstationen”, Orte, wo sich Studenten und Professoren während einer Vorlesung kreuzen, wo sich Einsamkeiten versammeln, wo Beziehungen auf das strikt Notwendige eines Lehrplans eingeengt sind, der nur „das Diplom” im Auge hat. Fragen über den Wert des Diploms, seiner Wirksamkeit auf „dem Arbeitsmarkt” oder im Feld der aktuellen Erkenntnisse, ob es Berufschancen eröffnet oder nicht, werden nur sehr selten unter Studenten besprochen und noch erheblich weniger zwischen Professoren und Studenten. Von der Entwicklung eines know-who der Persönlichkeit im Rahmen eines know-how gar nicht erst zu sprechen ; und wenn sich auch diese Frage immer öfter in den (wissenschaftlichen oder künstlerischen) Überlegungen und in der Unternehmenswelt stellt (man braucht nur die „Super-Lehrgänge” zu betrachten, welche viele Direktionen ihre Leitenden Angestellten folgen lassen), so wird sie doch an der Universität vollständig außer Acht gelassen.

    Im Gegensatz zu „Durchgangsstation”, verdeutlicht demnach der Ausdruck „Lebensraum” folgende Idee : Schaffung an der Universität eines konkreten Raumes, wo Studenten, Professoren, und andere Personen einander begegnen könnten, um „Austausch zu treiben” oder vielmehr, zu lernen, Austausch zu treiben, sich jedenfalls auf eine „lebendige Art und Weise” die unzähligen Probleme zu stellen, die heutzutage die Beziehungen der einen mit den anderen betreffen.

  3. Wir sehen weiterhin die Universität als einen Ort, wo sich die Jugend ausdrücken, genauer, einen Ort, wo man sie „von Kultur” erfinden kann, indem man sie von ihrer engstirnigen Bedeutung „von Natur” befreit. Folglich als einen Ort, wo Jeder, gleich welchen Alters, zusammen mit den Anderen seine besondere Art und Weise, jugendlich zu sein, durch ein Produktionsprojekt ausdrücken könnte, das gleichzeitig Forschung und Ausbildung wäre. Aus Definition muss die Universität jugendlich, das heißt zukunftsbezogen bleiben. Damit wird sie der Ort selbst der Erarbeitung der Zukunft. Jedoch muss sie, wenn sie „ihr Spiel spielen” und verstehen will, was „in der Gegenwart gespielt wird”, mit den Umwälzungen, die in der Epoche wirken, im Einklang bleiben. Für den Studenten hat das Wissen nur dann einen Sinn, wenn es im Leben eingesetzt wird, an erster Stelle in seinem Studentenleben. Was man vergessen hat, ihm innerhalb der Universität beizubringen, kann er nicht außerhalb lernen. Wir unterstreichen es nochmals : Die Art und Weise, seine Rolle zu spielen - das, was man das know-who nennen könnte - das kann man lernen, und das müsste man an der Universität lernen. Dass die Professoren und Lehrer nicht dazu vorbereitet worden sind, dieses know-who (das know-who des Studenten oder das know-who des Professors) zu entwickeln, lässt nur diese Feststellung zu : Es bleibt den Ersteren wie den Letzteren nur übrig, sich gemeinsam selbst zu formen.
     
  4. Die Universität müsste sich ebenfalls als ein Raum darstellen, wo neue Bedürfnisse entstehen können. Man weiß z. B., dass sich das Objektiv von „Qualitätsproduktion” auf dem Weltmarkt im Gegensatz zur Massenproduktion immer mehr durchsetzt. Wenn auch dieser Trend sich schon seit langem abzeichnet, so ist doch das mindeste, das man darüber sagen kann, dass diese Entwicklung sich nicht von selbst versteht. Auch das bekommt die Produktionswelt jetzt unter Schmerzen zu spüren. Dies ist sogar ein hervorstechendes Element der Krise.

    Manche, die zweifellos scharfsinniger sind, haben verstanden, dass „die Qualität” zu erkennen nicht nur die Notwendigkeit der Entwicklung „der Qualität des Produktes” bedeutet, sondern ebenso, wenn nicht noch mehr, „die Entwicklung der Qualität des Menschen selbst”. Wir machen uns diese Analyse völlig zu eigen. Wir fügen hinzu, dass es auch hier Sache der Universität ist, diese Art von Menschen (den Menschen „der Verausgabung”, den wir in OBJEKTIV JUGEND dem Menschen des Massenkonsums gegenübergestellt haben) „zu formen”. Wir sagen, dass „Qualität verpflichtet” ; sie verpflichtet den Menschen, sein Leben mit dem Begriff von Qualität zu überdenken ; sie hält ihn damit davon ab, sich wie ein passiver Verbraucher von Massenkonsumgütern zu verhalten. „Ausgeben” bedeutet in dieser Optik, seinen Blick auf den vollen Gebrauch dessen, was man kauft, zu richten. „Der Ausgabeakt” widerspricht so der „Konsumtätigkeit”. Ausgeben bedeutet ein eigenverantwortliches Handeln, es betrifft im Grunde ein know-who im Leben, das ein know-who im Beruf begleitet.

  5. Die Universität müsste auch danach streben, ein Raum zu werden, wo man „Ideen und Projekte begründen” kann (ein Kreativitätsraum). Dies ist kein Luxus. Die Grundlagenforschung, d.h. die Inrechnungnahme der Zukunft durch Forschung und Ausbildung in der Gegenwart, erweist sich als ein unausweichliches Ziel, sobald man „die Dinge des Lebens” als Kultur, als Zivilisation überdenken will. Jeder Mensch muss sich sagen können, dass seine Taten eine Folge haben. Der Mensch, der dazu verurteilt ist, auf kurze Frist zu leben, befindet sich ausweglos in ein Scheinleben getaucht, das nicht einmal die Bezeichnung Überleben verdient, das Wort „Unter-Leben” wäre hier eher angebracht. Die Geschichte lehrt, dass jede Zivilisation, die sich dazu hingehen lässt, ihren Fortschritt nur an einer ständigen Folge von Kurzzeitprojekten zu messen, dem Niedergang verfällt und den Menschen in Enttäuschung und Verzweiflung stürzt.

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Les périphériques vous parlent, zuletzt bearbeitet am 3. Juli 03 von TMTM
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Wir benutzen hier das Wort Produktion in seinem edlen Sinn : „Produktion ist eines dieser entarteten Wörter, das in Bezug auf die Herstellung eines Produktes zu oft an die Vermarktungsfrage verweist. Vom lat. producere abstammend, bezeichnet es ursprünglich das Voranbringen, zur Existenz verhelfen. Von daher kann man mit ihm jede menschliche Tätigkeit bezeichnen, die sich vor den anderen Menschen beweisen kann. Es kann sich dem fr. prodiguer annähern und so die Bedeutung eines Geschenkes an die Menschen bekommen.” (Yovan Gilles)